Die Überfahrt von Mats Strandberg
Die Baltic Charisma hat ihre beste Zeit lange, lange hinter sich gelassen. Ende der 80er gebaut lockt sie ihre Passagiere in erster Linie mit der Aussicht auf billigen Alkohol und raschen Vergnügungen an Bord zu einer nicht mal zweitägigen „Kreuzfahrt“ von Stockholm nach Finnland und retour. Doch die guten Zeiten liegen hinter der Baltic Charisma, längst kreist der Pleitegeier über dem Reeder.
Dementsprechend motiviert sind die Mitarbeiter wie zum Beispiel Dan Applegreen, der vor Jahrzehnten mal einen Schlagerhit landete und als Animateur allabendlich in der Karaoke Bar für Stimmung zu sorgen hat. Oder der Barkeeper Filip, der sich ein Leben an Land für längere Zeit gar nicht mehr vorstellen kann aber genau weiß, dass demnächst die ersten Entlassungen ausgesprochen werden.
Die Passagiere sind ein buntes Sammelsurium aus Feierwütigen, Familien, die für wenig Geld etwas erleben wollen und Glücksritter auf der Suche nach einer heißen Nacht auf der Flucht vor sich selbst.
Doch diese Fahrt ist anders.
Eine Frau und ein Kind sind mit an Bord gekommen. Ursprünglich wollte sie in Finnland in die Wälder flüchten weit weg von den Menschen. Die beiden scheinen nicht von dieser Welt zu sein.
Aber es geht etwas schief, zunächst unbemerkt greift ein tödlicher Virus des seltsamen „Paares“ um sich. Auf Unglauben folgt Panik und Verzweiflung.
Aber auf hoher See gibt es kein Entrinnen!
Ein schönes Beispiel für einen Horror Thriller, der betulich – fast langatmig – beginnt, dann zuschlägt, um Stück für Stück an der Spannungsschraube zu drehen.
Die ersten circa einhundertvierzig Seiten geschieht nämlich nicht viel außer, dass die Hauptfiguren vorgestellt werden:
- der abgewrackte ehemalige Schlagerstar Dan Applegreen, den sein ganzes Leben ankotzt und der noch eine ganz besondere Rolle spielen wird,
- die einsame über 60-jährige Marianne, die auf der Flucht vor der Einsamkeit zu Hause ist,
- das schwule Pärchen, das sich nach der abgelehnten Verlobungsfrage des einen Partners zerstreitet und in entgegengesetzte Richtungen des Schiffes flüchtet,
- und – man möchte fast sagen – natürlich: der zwölfjährige Adoptierte, der einigen Ärger mit seinen Adoptiveltern hat, da Vater säuft und Mutti im Rolli unterwegs ist.
Aus diesen vier Perspektiven wird die unheilvolle Geschichte in erster Linie erzählt, wer noch kurz Raum erhält auf den über fünfhundert Seiten des Buches, wird mit vier, fünf Zeilen angerissen, um dann in der Regel auch schnell wieder ins Gras zu beißen.
Autor Strandberg erfindet dabei das Rad des Vampirbuches gewiss nicht neu.
Seine Vampire sind gegen Weihwasser und Knoblauch resistent, dürfen über Türschwellen schreiten, auch wenn niemand sie einlud.
Da ist von Bram Stoker nicht mehr viel nach.
Wovon auch nicht mehr viel nach ist, ist die Eleganz des Urvampires.
Bei Strandberg bersten die Knochen, spritzen Blut und Gedärme, werden Schwänze in Schlünde geprügelt etc.
Das ist nicht immer schön zu lesen aber spannend ist es allemal.
Ein zweiter Kritikpunkt ist die ständige Wiederholung, dass anscheinend die gesamte Baltic Star nur Passagiere hat, die sich betrinken, bekiffen oder sonst wie benebeln wollen.
Das mag bei einem Teil der Nutzer solcher Fahrten bestimmt zutreffen aber, das sich nahezu alle Gäste plus das Personal nichts Besseres vorstellen können als die 24 Stunden an Bord zum geistigen Abschuss durch alle Formen von Drogen ist schon reichlich unglaubwürdig.
Zumal: wenn das so ist, weshalb gibt es dann nur vier Sicherheitsleute an Bord – ebenso wie vier Ausnüchterungszellen?
Doch das nur am Rande.
Gut ist die Idee, dass es an Bord neben dem bösartigen Anführer, der nichts weniger als eine neue Herrschaft ausrufen möchte auch noch eine mächtige Gegenspielerin gibt, die beinah alles tut, um ihren Sohn aufzuhalten.
Fazit: Meiner Meinung nach auf jeden Fall lesenswert!